50 Minuten

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Sind 50 Minuten eine Einheit? Sind 50 Minuten ruhiger Dauerlauf Leer-Kilometer? Sind es Junk-Kilometer? Das sind die Fragen, die den Läuferhorizont bewegen.

50 Minuten sind 50 Minuten. Der Aktivitätsaufzeichner der Trainingsuhr wird danach auf etwa 80 Prozent der Gesamtaktivitätstagesanforderung stehen. Mit 50 Minuten ruhigem Dauerlauf habe ich also mein Aktivitätssoll noch nicht erreicht. Wenn man 50 Minuten Dauerlauf macht und ansonsten nur am Computer sitzt und „arbeitet“, hat man sich zu wenig bewegt. Die Auswertung des Tages wäre mit Inaktivitätswarnungen gespickt. „Die spinnt wohl, die Uhr!“, denkt jeder Mensch. 50 Minuten Dauerlauf sind zu wenig Aktivität?

Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das ist zu wenig. Die Welt leidet an Bewegungsmangel. Die Vorstellung der Menschen von Bewegung ist degeneriert. 50 Minuten locker laufen am Tag erscheint den meisten schon viel. Aber es ist nicht viel. Sagt die Uhr. Aber eigentlich sagen das auch die Gene. Dort ist nämlich immer noch gespeichert, dass sich bewegt werden muss. Und zwar viel mehr als nur mal locker 50 Minuten Dauerlauf. „Mensch Kind, hör doch mal auf rumzuzappeln!“ Wer das noch nie gehört hat, ist mal richtig degeneriert. Kinder machen es richtig. Unnütze Kilometer durch den Garten rennen, am Tisch nur sitzen, wenn man unbedingt muss und ansonsten spielen und rumzappeln. Viel rumzappeln. Nicht bewegen gibt es nur im Schlaf. Goldrichtig ist das.

Erreichen wir durch die Verbreitung von Trainingscomputern, Smart-Watches und Aktivitätstrackern vielleicht eine Rückkehr zu mehr Bewegung?

Ich entschuldige mich heute bei meinen Genen, dass ich nur 50 Minuten dauerlaufe. 30 Minuten Krafttraining kommen jedoch dazu. Rumpfstabilität. Damit man beim Laufen ab Kilometer 30 nicht anfängt zu zappeln und zu viel Energie in das Abfedern des Zappelns fließt.

Gastkommentar

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Ich bin nicht allein. Es gibt noch andere, denen eine Nebensache sehr wichtig ist. Zumindest für drei Monate im Jahr. Aus einer Ich-melde-mich-mal-an-und-dann-schauen-wir mal-Laune wird schnell harte Realität. Zwei Wochen und neunundneunzig Euro später hat man die Gewissheit: Der Sommer ist vorbei noch bevor der Winter angefangen hat. Blut und  Wasser werden die Tartan-Bahnen dieser Republik entlang fließen, Schweiß wird auf den Land-Laufwettbewerbsstrecken der Sommer-Sonntage tropfen und Flüche werden durch einsame Laufwälder hallen. Und manche dürfen sogar schon den Asphalt der Tag-X-Strecke schmecken.

Der wilde Eber gehört zu den legendären Orten des Berlin-Marathons. Mein Gast durfte ihn gestern schon mal anlaufen. Ein verschobener Halbmarathon als Vorbereitungswettkampf für den Tag X war es, Platz acht in der Altersgruppe das sensationelle Ergebnis. Herr Ehrgeiz ist da. Herr Leistung und Herr Fleiß. Die drei haben den Herrn Psyche gezwungen, sich ebenfalls am Erfolg zu beteiligen. Zusammen bilden sie das Quartett „Schluss mit Lustig“.

Ja, ein Halbmarathon tut weh. Sehr weh. Er ist ein völlig anderes Rennen. Er ist genauso wenig die Hälfte eines Marathons, wie der Marathon das Doppelte eines Halbmarathons ist. Ein Halbmarathon ist ein Halbmarathon und ein Marathon ist ein Marathon. Oft gehört vor solchen Unterdistanzen ist der Schlachtruf: „Ach, nur ein Halbmarathon! Das schaffst du doch locker.“ Ja, genau. Natürlich schaffe ich das. Aber geht es ums Schaffen? Natürlich nicht. Es geht um Blut und Wasser. Es geht um alles. Es geht um das Tempo. Immer. Auch Usain ist platt, nachdem er Gold auf 100 Metern erlaufen hat. Und da sagt ja auch keiner: „Ach nur 100 Meter! Usi, alte Hütte, schaffste doch locker.“

Es geht immer darum, schon vorher zu wissen, was die Zielzeit ist, um den ersten Kilometer zu langsam laufen zu können. Im Gegensatz zu den Rennen bis 400 Meter, bei denen das Credo „Sofort-Voll-Stoff-bis ins Ziel“ ist, muss man ab 800 Meter-Läufen eine Rennstrategie haben. (Hier bitte ich alle Kurzstrecken-Profis um Nachsicht, die dramaturgische Verkürzung hat hier Vorrang).

Will also heißen, man muss seine Leistung genau kennen, um sofort das richtige Tempo zu laufen. Das ist natürlich etwas langweilig, denn je besser man auf den Punkt trainiert ist, desto genauer kennt man sein Ergebnis schon vor dem Lauf. Bei den Vorbereitungswettkämpfen kann man das noch ein bisschen üben oder man sagt sich einfach: Heute laufe ich genau 3:46 Minuten pro Kilometer durch, obwohl man eigentlich 3:44 schaffen würde. Mit Blut und Wasser.

Mein Gast hat gestern geübt. Als alter Besserwisser und gönnerhafter Pseudotrainer schrieb ich ihm noch das Allerweltsgeschwätz: „Lauf langsam los, Lauf zu langsam los. Alle schnellen Läufe werden zu langsam begonnen.“ Er hat mir den Gefallen getan und das Allerweltsgeschwätz ein weiteres Mal bestätigt. Der erste Kilometer 12 Sekunden langsamer als der Durchschnitt aller Kilometer. Das ist eine andere Welt. Kilometer eins hat mit dem Rennen nichts zu tun. Er bringt den Körper langsam auf Touren. Hier schau mal, das ganze Fett, unerschöpfliche Energie, das kannst du nehmen. Nimm das erstmal. Dann, wenn es schneller wird und schwerer, so ab Kilometer drei, dann kannst du auch mal ein paar Kohlenhydrate haben und so bei Kilometer 17 kriegste neben den Kohlenhydraten auch noch ein paar Eiweiße. Ach was, nimm dir einfach alles was du willst und brauchst.

Mein Gast hat gut geübt. Er ist jeden Kilometer im Durchschnitt sieben Sekunden schneller gelaufen als geplant. Das ist eine gewaltige Dimension. Die Geister, die ich rief. Hier bin ich Läufer, hier muss ich es sein. Er merkte natürlich, dass er zu schnell ist, aber nein, er wurde nicht langsamer. Und das ist dann doch eine Überraschung. Nicht das Blut und auch nicht das Wasser, nicht die Höllenqualen und nicht der Schweinehund, sondern die Fähigkeit, ein nicht für möglich gehaltenes Tempo doch durchzuhalten. Bis zum Ziel. Beim Wettkampf geht das. Und nur da. Deswegen. Lieber Gast. Glückwunsch zu dieser Leistung. Ich ziehe den Hut und bin froh, dass ich keinen Halbmarathon laufen muss.

Nebenbei habe ich gestern selbst einen Wettkampf provoziert. Eine Freundin fand keinen exakt passenden 10 Kilometer-Lauf, deswegen habe ich die ersten 46 Minuten meines LSD-Laufs (das „S“ heißt slow) zu schnell absolviert. Und auch die Freundin ist endlich mal so schnell gelaufen, dass heute ein leichtes Ziehen im Oberschenkel zu spüren ist. Ich muss mal ein bisschen langsamer laufen, sagte sie bei Kilometer sechs. Nein, das musst du nicht, wusste ich genau. Lauf, du Sau! 4:35 Minuten pro Kilometer sind 13 Sekunden schneller als das Soll. Das ist auch eine Dimension. Sie ist das Lächeln beim Zieleinlauf am Brandenburger Tor.

Meine Gäste haben gestern beide gesiegt. Zeitgleich mit dem olympischen Marathon in Rio. Ich bin stolz auf euch.

Sehr belastet

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Heute habe ich es endlich geschafft. Ich habe mich schon gefragt, wozu es diesen Anzeigebereich überhaupt gibt. Unterfordert, ausgeglichen, belastet und sehr belastet. Diese Zustandsbeschreibungen des Trainierenden hat sich der Hersteller der Pulsuhr ausgedacht. Schubladen, in die man sich legt, wenn man trainiert. Ich dachte bisher, dass die Schublade „sehr belastet“ nur für Idioten ist, die übertrainieren. Doch seit heute darf ich mich zum Kreis dieser Schubladenlieger zählen.

Sehr belastet! Mir wird auch noch angezeigt, wann ich die Schwelle zu „belastet“ erreiche und auch die zu „ausgeglichen“. Die Schwelle zu „belastet“ habe ich schon eine Stunde nach dem heutigen Training wieder unterschritten, die Grenze zu „ausgeglichen“ erreiche ich laut Prognose in der Nacht zum Sonntag gegen zwei Uhr dreißig. Wenn kein Training mehr dazwischen kommt. Kommt aber. Ich werde mich wohl am Sonntag im tief belasteten Bereich auf den LSD-Lauf machen. LSD heißt leider nicht „Lucy in the Sky with Diamonds“, sondern Long, Slow, Distance. Also langer, aber langsamer Lauf. Wie jeden Sonntag. Davor sollte man einigermaßen erholt sein. Werde ich aber nicht sein.

Ich glaube, das nennt man Belastungsphase. Ausbelastung. Oder einfach hartes Training mit vielen Kilometern. Vielen und schnellen und bösen Kilometern. Montag bis Freitag  80 km. 124 Kilometer werden es wohl am Sonntag sein. Aber es geht ja nicht um die Menge der Kilometer. Es geht um Quality-Training. Also abwechselnd schnell und langsam, Be- und Entlastung. Warum-tu-ich-mir-das-an-Dienstag mit 4 x 2.000 Metern in je sieben Minuten (7:15 das letzte, was angeblich sehr schlecht ist, weil die letzten Intervalle eher schneller als langsamer sein sollten. Ich schiebe das auf gescheitertes Mentaltraining. Die Beine hätten gekonnt, aber ich war schwach, so schwach. Das Fleisch war willig, der Kopf nicht.) Die beiden Fülltage mit je 19 und 17 km in „lockerem“ Tempo, also so knapp 4:30 min/km. Die so genannten Junk-Kilometer vor dem Herr-lass-Abend werden-Freitag, der mit zweimal sieben Kilometern im Wettkampftempo, also 3:55 Minuten pro Kilometer das Wochenende begrüßt. Der Zyklus der Belastung ist im Moment ganz schön lang. Die letzte Trainingseinheit in langsamem Tempo war der Sonntag. Und selbst der läutete diese vorwiegend schnelle Woche mit einer Endbeschleunigung ein. Km 28-30 mussten plötzlich im Wettkampftempo gelaufen werden. Ja, ich habe es verstanden. Der Marathon kommt und dafür muss man bereit sein. Dafür muss man sich quälen. Die große Quälzeit ist jetzt. Noch ganze drei Wochen.

Man muss sich belasten. Auch mal eine ganze Woche lang. Und dann noch eine. Und noch eine. Regeneration kommt auch wieder. Beim Tapering. Aber jetzt habe ich das Gefühl, immer einzuatmen und wenig, also kaum wahrnehmbar ausatmen zu können. Sehr belastend.

Langsam

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Menschen laufen. Menschen sind schon immer gelaufen. Zumindest bis zum Beginn der Industrialisierung. Menschen laufen viel. Menschen laufen lang. Menschen laufen weit. Der Vergleich mit dem Steinzeitmenschen, der täglich unzählige Kilometer gelaufen ist, um sich und seine Familie zu ernähren, langweilt. Was aber nicht langweilt, ist die Fähigkeit des Menschen, das aus den Genen wieder abzurufen. Es ist kein Problem, 32 Kilometer am Stück zu laufen. Das geht eigentlich immer. Und eigentlich auch ziemlich einfach. Man muss sich nur ein bisschen daran gewöhnen. Also trainieren. Und je weniger man dafür trainiert hat, desto langsamer muss man laufen. Aber wenn man mal auf dem Level ist, dann geht das erstaunlich locker. Und erstaunlich schnell. Zwei Stunden und 40 Minuten braucht ein gut Trainierter dafür. Langsam und Locker ist das dann. Viel lockerer, als acht mal Tausend-Meter-Intervalle in atemberaubendem Tempo. Auch wenn man es öfter macht. Tempo-Intervalle sind immer wieder unerträglich und sollen es auch sein.

Der Mensch ist also in der Lage unglaubliche Strecken zu Fuß zurückzulegen, aber eben nur in langsamem Tempo. Je länger die Strecke, desto langsamer muss man das Tempo wählen. Es gibt da so schlaue Formeln um seine Wettkampfzeit anhand eines Unterdistanz-Laufes zu berechnen. So ergeben sich zum Beispiel folgende Gleichungen:

00:17:10 auf 5 km = 00:35:50 auf 10 km = 01:19:00 auf den Halbmarathon und 02:45:00 auf den Marathon. Man sieht also, dass man nicht einfach die Zeit mit der Strecke multiplizieren kann. Der gesunde Menschenverstand sieht das natürlich auch ohne diese Zahlen. Der gewiefte Kilometerschwabe könnte natürlich jetzt sagen, ich suche mir einen Fünf-Kilometer-Trainingsplan heraus und trainiere damit für 17 Minuten auf 5 Kilometer. Das ist zweifelsohne recht flott. Der Trainingsplan wird mit erheblichen Tempoeinheiten daherkommen und einen Untrainierten schnell in seine Schranken verweisen. Aber er wird mit etwa 50 bis 60 Kilometern in der Woche sicherlich höchstens die Hälfte des Umfangs fordern, den ein Marathonplan für das Zeitäquivalent 2:45:00 fordert. Also lieber Herr Schwabe. Da wird die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Selbst wenn du es schaffst, im ausgerechneten Marathontempo die ersten Kilometer zu laufen, wird nach meiner Schätzung bei Kilometer 21 Schluss sein. Und zwar ganz Schluss. Für mindestens eine Woche. Kein Schritt ohne fürchterliche, erbarmungslose Schmerzen wird möglich sein. Das geht vorbei. Aber ein Zielerlebnis bleibt dir verwehrt. Und wenn die ganzen Finisher schon fröhlich umherhüpfen, gehst du noch rückwärts die Treppen runter und reißt die Geländer aus der Wand, die nicht für tonnenschwere Beine geschaffen sind, die sich nicht selbst tragen können, geschweige denn deinen Körper.

So, der Zeigefinger fährt ganz langsam wieder ein. Es will und muss gelaufen werden, will man die volle Distanz eines Marathons ohne Schaden überstehen. Umfang! Fleiß! Langsam! Gerade das „Langsam“ fällt mir immer schwer. Die langen Läufe müssen langsam sein, sonst trainiert man die falschen Systeme. Besonders gewiefte Renner, denen alles leicht fällt, laufen die lang(sam)en gern viel zu schnell. Ich nehme mich da als Letzten aus. Langsame Läufe werden in der Regel zu schnell gelaufen und die harten schnellen Intervalle meist zu langsam. Das ist ein so verbreitetes Phänomen, dass jeder Läufer, der das hier liest, sagen wird: „Ja, lieber Onkel Zeigefinger, du hast recht. Ich weiß es und will es nicht mehr hören und du bist ein Klugsch…!“ Okay. Ich sag nix mehr. Nie wieder. Langsam ist der Erfolg für den Marathon. Langsam loslaufen, Training langsam steigern, lange Läufe langsam laufen, langsame Zeiten vornehmen. Langsam dämmert es sogar mir. Nach 20 Jahren Lauferfahrung. Wird langsam Zeit.

Wettkampf

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„Am Berg ist immer Wettkampf“, sagen die Radler. Sie meinen damit, dass man nicht einfach jemanden am Berg an sich vorbeifahren lässt. Radler sind eine eigene Spezies, sie legen sehr viel wert auf Etikette, oft sogar mehr darauf, als aufs Radfahren.

Sonntags gibt es im Verlauf des Trainingsplan Testwettkämpfe. Die liegen, wie ich schon erzählte, immer an Sonntagen, die mit Familienfesten oder sonstigen Veranstaltungen besetzt sind. Vergangenen Sonntag habe ich mir also wegen einer Hochzeit einen Wettkampf in Gaggenau gesucht, suchen müssen. Gaggenau kennt man vielleicht wegen Küchengeräten, ganz sicher nicht wegen Laufveranstaltungen. Das hat Vorteile. Der Teilnahmebetrag ist mit fünf Euro sehr gering. Und man kann sich kurz vor Start noch ohne Schlange schnell anmelden. Es hat auch Nachteile. Die Internetauftritte dieser Veranstaltungen verraten oft nicht so viel über die Veranstaltung. So wird man häufig während des Laufs noch überrascht. Gelegentlich ist der Streckenverlauf nicht eindeutig, das Höhenprofil scheint auch öfter nicht der Rede wert. Als ich also gestern bei Kilometer vier immer noch keinen fand, der mir Seil und Haken brachte, entschloss ich mich, weiter schnell zu gehen. Ungesichert. Das Tempo war einem 10000 Meter Lauf nicht angemessen. Der Wendepunkt kam bei, oh Wunder, Kilometer fünf. Von da an ging es, oh Wunder, bergab. Die gleiche Strecke zurück. Meine Muskeln waren aber inzwischen gut gefestigt, so dass sich das erhoffte Laufenlassen eher staksig zeigte. Wenigstens hatte ich drei der sechs aus der Führungsgruppe schon beim Klettern überholt. Runter muss es schnell gehen beim Bergsteigen, das lernt man schon als Kind. Deswegen ließ ich es laufen, so weit die Füße tragen. Kurz vor Einbruch des Läuferfeldes, erreichte ich das Ziel als niedrigster Podestler glücklich, gesund und unverletzt. 

Nach den fünf Kilometern zum Einlaufen, sollten es noch acht zum Auslaufen sein. Dazu nahm ich nochmals den Berg und entdeckte die wunderschöne Landschaft des Schwarzwaldes zum ersten Mal an diesem Tag. Am Berg ist nicht immer Wettkampf.

Umfang

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120 km die Woche. Die, so sagt die Erfahrung und die Gewohnheit, sind nötig, wenn man sich so etwa zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten Zeit für die Marathondistanz nehmen will. Das ist recht viel. Etwa 17 km pro Tag. Asiatische Top-Athleten erledigen gelegentlich bis zu dreihundert Kilometer pro Woche. Das ist mehr als ein Marathon pro Tag. Allerdings aufgeteilt in zwei oder manchmal drei Einheiten pro Tag.

Nun gibt es auch Theorien, die den Umfang zumindest psychologisch zu reduzieren versuchen. Drei Einheiten pro Woche sollen reichen. Die aber sehr intensiv. Und dazwischen soll man Alternativsport, wie Schwimmen und Radfahren machen. Soll die Gelenke schonen und soll sogar funktionieren. Aber das muss mir erstmal jemand beweisen. Natürlich ist der Wunsch groß, mit weniger Aufwand das Gleiche zu erreichen. Aber das Alte hat ja schon immer ganz gut funktioniert und was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht. Doch nagt es an mir. Mache ich das mal? Ein großes Experiment mit ungewissem Ausgang. Trial and error. Irgendwann mal. Bestimmt.

So lange aber richte ich mich nach den konservativen Plänen und Laufe den  geforderten Umfang. Mit den ganzen Junk-Kilometern, wie sie die Verfechter der anderen Methode nennen. Mal ehrlich: diese so genannten Junk-Kilometer sind das Schönste an den Trainingsplänen. Statt immer auf die Uhr zu schauen und zu merken, dass man wieder zu langsam ist, schaut man sich die Umgebung an und nur mal kurz auf die Uhr, um zu sehen, dass man zu schnell ist. Zu schnell! Das ist Erholung. Bremsen. Langsamer laufen. Ruhig atmen. Locker machen. Entspannung der Psyche. Junk-Kilometer. Von wegen. Das ist quality-time. Run-life-balance. I like. 

Zipperlein

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Woher kommen sie? Warum kommen sie immer dann, wenn man sie nicht will? Weil man an sie denkt, wenn man sie nicht will. Wenn man sie nicht nicht will denkt man nicht dran und dann kommen sie auch nicht. Also dann sollte ich einfach nicht dran denken. Oder besser gesagt ich sollte versuchen, sie nicht nicht zu wollen. Also Daumen hoch und durch. Lauf sie einfach weg, die Zipperlein. Eis sie weg. Roll sie weg und vergiss sie einfach.

Die Erfahrung sagt ja auch, dass es eigentlich immer psychologische Zipperlein mit somatischer Komponente sind. Also kann ich sie einfach wegdenken. Denk weg, du Sau.

Und das mach ich jetzt. Deswegen kann ich da nicht weiter drüber schreiben.

Drei

Allgemein, Marathon

Da waren’s nochmal drei.

Der Berlin Marathon glänzt ja durch ein rigides Anmeldesystem. Es gibt eine Anmeldephase von ein paar Tagen ein paar Wochen nach dem Marathon. Da kann man sich als Laufwilliger für das nächste Jahr anmelden. Ein paar Wochen später erhält man dann Nachricht. Man kann sich normal anmelden oder als schneller Läufer oder man gehört zum Jubilee-Club. Schnelle Läufer müssen ziemlich schnell laufen oder schnell laufen und etwas älter sein, Jubilee-Club-Läufer haben den Berlin-Marathon mindestens 10 Mal beendet. Beide haben einen Startplatz sicher. Gehört man aber nicht zur Berlin-Marathon-Aristokratie, muss man sich normal anmelden und hoffen, dass man gelost wird oder nicht. Ja, manche hoffen, dass sie nicht gelost werden. Und für die war diese Bewerbungsphase nicht gut.

Ich habe eine gute Freundin, einen guten Freund und einen guten Bekannten. Die wollten es alle wissen. Komm lass uns mal bewerben, da werden eh höchstens 50% genommen. Und zack alle drei sind auf Anhieb drin. Die Geister, die sie riefen. Marathon! Das Geld wird ja sofort eingezogen, ein Rückzug ist somit unmöglich. Also: beworben – genommen – TRAINIEREN!

Für mich ist das blöd, weil zwei wesentliche Unterstützer an der Strecke ersetzt werden müssen. Für die ist das aufregend, weil sie neben dem Laufen im Gegensatz zu mir auch noch was anderes zu tun haben. Und jetzt, so circa zehneinhalb Wochen vor dem Tag X merken sie, dass das Laufen doch einen nicht unerheblichen Teil der „Freizeit“ einnimmt. Und zwar sowohl rein zeitlich durch die Trainingseinheiten selbst als auch gesundheitlich durch das Fieber, das einsetzt. Rennfieber. Kann ich jetzt schon was falsch machen? Muss ich alle Trainingseinheiten machen? Sollen die Intervalle wirklich so schnell gelaufen werden? Kann man den langen Lauf auch mal etwas abkürzen? Muss ich jetzt schon mit dem Carboloading anfangen? Ich sag’s euch! Das ist ein Vierteljahr Rennfieber. Fokus auf alle Banalitäten des Laufsports. Ich tue immer sehr erfahren und abgeklärt, aber unter uns: mir geht es mindestens genau so wie denen. Jedes Mal.

Man läuft halt so ein bisschen vor sich hin bis Anfang Juli. Läufste heut nicht, läufste morgen. Und dann startet völlig unerwartet (wie Weihnachten immer) der Trainingsplan so etwa 12 Wochen vor dem Marathon und schwupps: Fieber. Anfangs ist es noch leicht erhöhte Temperatur, aber ab der 4 Woche, spätestens vor dem ersten Testwettkampf erhebt sich das zu einem gesunden Fieber. Alle Nebenbeschäftigungen werden nur noch stoisch automatisiert absolviert. Das Herz und der Kopf sind bei der eigentlichen Aufgabe: Marathon. Lästige Familienfeiern, vornehmlich Sonntags und weit weg, noch vornehmlicher an Testwettkampftagen bringen einen an den Rand der Verzweiflung. Hochzeit des Cousins und 80ste Geburtstage werden nach kurzer Recherche, ob dort im Umkreis von 100 km Läufe sind, zähneknirschend zugesagt. Alles andere muss ausfallen. Aber wieso? „Dann läufste halt mal einen Tag nicht!“ Hallo? Schuss nicht gehört? Es geht um das Wichtigste der Welt: den Marathon! Dann läufste halt mal einen Tag nicht! Das ist in etwa so, als wenn man einem Koch sagen würde, dann lässte halt mal das Salz weg. Oder dem Frühling: dann lässte halt mal den Mai weg!

Ich freue mich auf den 25. September um 13 Uhr. Da sind alle drei im Ziel. Und ich auch.

So langsam …

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… geht es wieder los.

Wir erinnern uns: Es geht um 165 Minuten. Und um knapp 24.000.000 Minuten. So lange lebe ich nämlich schon. Und das macht sich halt langsam bemerkbar. Nicht nur an meiner hinzukommenden Leseschwäche, von der ich immer noch erwarte, sich mit der angeborenen Fernsehschwäche zu neutralisieren. Die intellektuellen Fähigkeiten hatten auch schon mehr Gegenwind und last but not least unterliegen die ohnehin spärlich vorhandenen schnellzuckenden Muskelfasern einem Schwund, der spätestens am Brandenburger Tor in einen lagerglühenden Leerlauf münden wird. Hamsterrad on fire.

Er schreibt also wieder. Er sitzt vor dem leeren Bildschirm. Er weiß nicht, was er noch alles erzählen kann. Vom Laufen. Wovon redet er, wenn er vom Laufen redet?

Von Qualen. Vom Warum. Vom Zwang. Von Gewohnheit. Von Ersatzbefriedigung. Von Sucht. Von Askese.

Nicht vom Hochgefühl. Nicht vom Abschalten. Nicht vom Rhythmus. Nicht von freien Gedanken. Nicht vom Flow. Nicht von Genuss. Nicht von Leichtigkeit.

Ich habe mir eine neue Laufuhr angeschafft. Beim letzten Batteriewechsel vor zwei Jahren schrieb mir Polar schon, dass ich mir doch bitte eine neue Uhr kaufen solle, denn sie könnten weder eine Garantie für die ausgetauschte Batterie übernehmen, noch die Uhr überhaupt noch reparieren. Muss man aber auch nicht. Zehn Jahre hat sie einwandfrei funktioniert und tut es auch jetzt noch, nur liegt sie gerade tatenlos in der Schublade, um der neuen Uhr die Manege zu überlassen.

Ich kann jetzt immer am Computer und am berührungssensitiven Fernsprechapparat sehen, wo ich gelaufen bin. Wo und wann und wie schnell und mit welchem Puls. Ich kann sogar sehen, wie gut oder wie schlecht ich geschlafen habe und ich kann  sehen, wie viele Schritte ich gemacht habe. Das ist unglaublich toll und unglaublich unnötig. Und unglaublich überwacht. Fehlt eigentlich nur noch Reinhard Meys Balkencode am Schniedel.

Will also sagen: Hört auf zu lesen. Es kommt nix Neues. Nichtmal die Uhr hat viel Neues. Außer GPS und Schlafanalyse. Same procedure as every year. Der Läufer ist tot, es lebe der Läufer.

Laufen für andere

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Nach dem Zieleinlauf am 27. September 2015, also ziemlich lange nach dem Zieleinlauf, habe ich den 3:00 Stunden Pacemaker getroffen und ihn gefragt, wie man das wird. Ein Pacemaker ist ein Tempomat. Man stellt ihn auf eine Pace ein und die hält er. Bis zum Ziel. Bei den großen Marathons haben die Veranstalter es eingerichtet, dass bei 3:00 Stunden, 3:15 Stunden, und so weiter bis vielleicht 4:30 Stunden Zielzeit Menschen laufen, die das schonmal gemacht haben und eigentlich mindestens eine halbe Stunde schneller als die vorzugebende Zeit laufen können sollten. Bei dem 3:00 Stunden Pacemaker ergibt sich da schon eine recht flotte Runde. Diese Pacemaker haben oft das Glück, den ganzen Lauf mit einem Ballon laufen zu dürfen, auf dem die Zeit steht, die sie eigentlich laufen sollten. So wird derjenige auch schnell entlarvt, der stark abweicht. Und das kommt wohl auch öfter vor. Gerade in Berlin taumeln da häufiger Ballons in Luft, die deutlich abweicht von dem, was draufsteht.

Zweifelsohne ist das eine große Leistung, einen Marathon in einer fest vorgegebenen Geschwindigkeit zu laufen, auf 100 Fragen von Mitläufern zu antworten und auch noch auf sich selbst zu achten. Ein Marathon ist kein Spaziergang, auch nicht, wenn man ihn 30 Minuten langsamer läuft, als man könnte. Viele Läufer verlassen sich auf den Pacemaker. Wenn man diese Aufgabe übernimmt, sollte man das nicht leichtfertig tun. Irgendwann ist immer das erste Mal, aber muss das bei einem so wichtigen Wettkampf wie einem Marathon sein?

Ich möchte das mal machen. Bei einem Marathon. Vor allem auch deshalb, weil man dann die Teilnahmegebühr spart. Und deswegen habe ich das am Wochenende mal geübt. Mitten auf dem Land gab es einen 15,3 km Lauf durch den Wald. Man hätte auch 27 km laufen können, aber das war mir viel zu weit. Ich laufe ja nur noch zum Spaß. Und ab Kilometer 8 hört der Spaß auf. Und die Freundin, deren Hase ich sein sollte, wollte auch nicht länger. Wir haben uns also geeinigt, dass sie läuft und ich alles für sie mache. Vor allem die Geschwindigkeit vorgeben und halten, aber auch ein Power-Gel bereithalten und Wasser reichen. Hasen werden die Privat-Pacemaker genannt. Also die, die nur für einen Tempo machen. Die kenianische Elite hat oft eine ganze Gruppe von Hasen, die alle zu festgelegten Kilometern aussteigen. In seltenen Fällen sind die Hasen so gut und auch so ehrgeizig, dass sie schonmal bis zum Ende laufen, in den seltensten Fällen sollen sie auch schon den eigentlichen Favoriten abgehängt haben.

Ich habe mich sehr verantwortlich gefühlt. Ich zeigte ihr die Spur auf der sie laufen sollte, gab Anweisungen zur Geschwindigkeit beim Bergauflauf, rannte zur Getränkestation zurück und wieder zu ihr vor, motivierte, peitschte und quasselte ohne Punkt und Komma. Ohne Reaktion. Das ist ja irgendwie klar. Meine Freundin lief ziemlich nah an ihrer Leistungsgrenze, da quasselt man nicht. Ich beachtete den Atem, ganz selten wurde er sehr schnell, da mussten wir das Tempo ein bisschen reduzieren. Gegen Ende hielt ich das Tempo und das kommt der Freundin dann vielleicht wie ein Anziehen des Tempos vor. War es aber nicht.

Ich habe in weiser Voraussicht und unter Berücksichtigung der notorischen Selbstunterschätzung bei Frauen ein etwa ziemlich genau um 10 Sekunden pro Kilometer höheres Tempo gewählt, was sich als goldrichtig herausstellte. 5:00 Minuten pro Kilometer waren es dann im Schnitt. Altersgruppendritte wurde sie und die Leistungsgrenze war in Sicht, aber keinesfalls erreicht. Bei drei Mal Training pro Woche und mehreren Kindern ist das eine hervorragende Leistung. Und wenn ich meinen Beitrag dazu geleistet habe, allein durch meine Präsenz verhindert zu haben, dass sie sich ihrem Schweinehund ergeben hat, freue ich mich.

Laufen für andere: eine schöne und befriedigende Alternative für fett werdende, ehemalige Ehrgeizlinge.